Frage: Herr Reime, das Oberlandesgericht Zweibrücken hat kürzlich entschieden, dass es bei Beleidigungen gegen Politiker auf sozialen Medien nicht auf die Anzahl der Follower ankommt. Können Sie uns erklären, warum das Urteil von Bedeutung ist?

Jens Reime: Dieses Urteil des OLG Zweibrücken ist tatsächlich wegweisend. Es stellt klar, dass es bei der Strafbarkeit nach § 188 StGB – der sogenannten „Politikerbeleidigung“ – in erster Linie auf den Inhalt der Äußerung ankommt, nicht auf die Reichweite der Veröffentlichung. Das bedeutet, dass selbst Posts, die nur von einer kleinen Anzahl von Personen gesehen werden, strafbar sein können, wenn sie den Tatbestand der Beleidigung erfüllen. Das OLG hat damit eine wichtige Botschaft gesendet: Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens sollen unabhängig von der Größe des Adressatenkreises besser vor Hass und Hetze geschützt werden.

Frage: Im konkreten Fall hatte der Angeklagte auf Facebook eine beleidigende Äußerung über die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel gepostet. Das Landgericht Kaiserslautern hatte das Verfahren zunächst eingestellt, weil der Beitrag auf einem Profil mit nur 417 Freunden veröffentlicht wurde. Warum hat das OLG diese Entscheidung aufgehoben?

Jens Reime: Das Landgericht Kaiserslautern hatte argumentiert, dass die Reichweite des Beitrags bei einer relativ kleinen Anzahl von Freunden auf Facebook nicht ausreiche, um eine Strafbarkeit nach § 188 StGB zu begründen. Das OLG Zweibrücken hat jedoch klargestellt, dass die Reichweite für die Anwendung dieses Paragraphen keine Rolle spielt. Entscheidend ist allein, ob die Äußerung geeignet ist, die betroffene Person in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Das OLG hat darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber den Schutz von Politikern vor beleidigenden oder verunglimpfenden Äußerungen bewusst gestärkt hat, insbesondere im Kontext von Hass und Hetze im Internet.

Frage: Der Straftatbestand des § 188 StGB wird oft kontrovers diskutiert. Warum gibt es überhaupt eine spezielle Regelung für die Beleidigung von Politikern?

Jens Reime: § 188 StGB soll Personen des öffentlichen Lebens, insbesondere Politikerinnen und Politiker, einen erweiterten Schutz vor Beleidigungen bieten, da sie in ihrer Funktion oft Zielscheibe von Hass und Hetze sind. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass solche Angriffe nicht nur die betroffene Person persönlich treffen, sondern auch die demokratische Willensbildung beeinträchtigen können. Politiker sind besonders exponiert, und ihre öffentliche Stellung macht sie anfälliger für gezielte Verunglimpfungen, die nicht nur die persönliche Würde, sondern auch ihre politische Arbeit untergraben sollen. Der Paragraph stellt daher eine Art Schutzschild dar, um sicherzustellen, dass sich Menschen auch weiterhin ohne Angst vor solchen Angriffen im politischen Leben engagieren können.

Frage: Kritiker argumentieren, dass solche Regelungen die Meinungsfreiheit einschränken könnten. Wie sehen Sie das?

Jens Reime: Das ist ein berechtigter Einwand, und es ist wichtig, hier die Balance zu wahren. Die Meinungsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht und unerlässlich für eine funktionierende Demokratie. Allerdings hat auch die Meinungsfreiheit ihre Grenzen, nämlich dort, wo sie die Rechte anderer verletzt. Beleidigungen, Hetze und Hass fallen nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit. § 188 StGB zielt darauf ab, genau diese Grenzüberschreitungen zu sanktionieren. Solange die Anwendung des Gesetzes differenziert erfolgt und nur klar beleidigende oder verunglimpfende Inhalte betrifft, sehe ich keine unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Frage: Was bedeutet das Urteil konkret für Nutzer sozialer Medien? Müssen sie sich nun stärker vorsehen?

Jens Reime: Absolut. Das Urteil zeigt deutlich, dass die vermeintliche Anonymität oder begrenzte Reichweite auf sozialen Plattformen keinen Freibrief für Beleidigungen bietet. Nutzer sollten sich bewusst sein, dass auch Posts, die nur einem kleinen Publikum zugänglich sind, strafrechtlich relevant sein können, wenn sie beleidigende Inhalte enthalten. Social Media ist kein rechtsfreier Raum, und jede Äußerung, die dort getätigt wird, kann rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Ich rate daher allen Nutzern, ihre Beiträge sorgfältig zu überdenken und sich bewusst zu machen, dass die Verbreitung von Hass und Beleidigungen ernste Folgen haben kann.

Frage: Wie geht es in diesem konkreten Fall weiter?

Jens Reime: Das OLG Zweibrücken hat den Fall an eine andere Kammer des Landgerichts Kaiserslautern zurückverwiesen. Diese muss nun erneut prüfen, ob die Äußerung des Angeklagten den Tatbestand der Beleidigung nach § 188 StGB erfüllt. Es wird also eine neue Verhandlung geben, in der die Umstände des Falls erneut bewertet werden. Das Urteil des OLG bietet jedoch eine klare Leitlinie, wie künftig mit solchen Fällen umzugehen ist.

Frage: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Reime.

Jens Reime: Sehr gerne. Solche Urteile sind wichtig, um die Rechtslage in einem sich ständig wandelnden digitalen Umfeld klarzustellen.