Redaktion: Herr Bremer, Organisierte Kriminalität wird oft als eine Art Schattenwelt wahrgenommen, die nur wenig Einfluss auf das Leben der breiten Bevölkerung hat. Wie bewerten Sie diese Sichtweise?

Thomas Bremer: Diese Einschätzung ist trügerisch und unterschätzt das tatsächliche Ausmaß der organisierten Kriminalität. Organisierte Kriminalität, kurz OK, ist kein Phänomen, das im Verborgenen bleibt – sie hat gravierende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Es geht nicht nur um Einzelfälle von Kriminalität, sondern um systematische, hochprofessionell organisierte Strukturen, die mit einem hohen Grad an Organisation und Planung agieren. Ihr Hauptziel ist die Maximierung von Macht und Vermögen, was nicht nur auf Kosten einzelner, sondern ganzer Gesellschaften geht. Sie beeinflusst Märkte, destabilisiert Staaten und untergräbt das Vertrauen in öffentliche Institutionen.

Redaktion: Was macht Organisierte Kriminalität so gefährlich und schwer bekämpfbar?

Thomas Bremer: Der gefährliche Aspekt liegt vor allem in der Professionalität und Flexibilität dieser Gruppierungen. Organisierte Kriminalität agiert international, ist hochgradig vernetzt und nutzt moderne Technologien, um ihre Aktivitäten zu verschleiern. Gleichzeitig reagieren diese Gruppen schnell auf neue Gegebenheiten. Zum Beispiel gibt es eine zunehmende Zersplitterung innerhalb bestimmter Kriminalitätsbereiche, etwa zwischen den sogenannten „old school“- und „new school“-Rockergruppen. Letztere, wie die „Osmanen Germania“ oder „United Tribuns“, sind weniger an traditionelle Kodizes gebunden und weiten ihre Aktivitäten aggressiv auf neue Geschäftsfelder wie Suchtmittelhandel, Prostitution oder Türsteherdienste aus.

Besonders problematisch ist, dass diese Strukturen grenzüberschreitend agieren, was ihre Bekämpfung extrem erschwert. Sie profitieren von unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen in verschiedenen Ländern, was die Strafverfolgung verlangsamt oder gar verhindert.

Redaktion: Welche Rolle spielen ethnisch geprägte Tätergruppen innerhalb der organisierten Kriminalität?

Thomas Bremer: Ethnisch geprägte Tätergruppen haben in bestimmten Deliktsbereichen eine zentrale Rolle übernommen. Beispielsweise zeigt sich, dass syrische und irakische Tätergruppen zunehmend im Bereich des Menschenschmuggels und des Suchtmittelhandels aktiv sind. Besonders besorgniserregend ist die Mobilisierungsfähigkeit afghanischer Gruppen, die mittlerweile in Delikten wie Schutzgelderpressung, Straßenraub und Suchtmittelhandel aktiv sind. Diese Gruppen agieren häufig in kleinen, aber gut organisierten Banden und tragen gewalttätige Revierkämpfe aus, insbesondere mit tschetschenischen Gruppierungen. Es handelt sich hierbei um Netzwerke, die in kurzer Zeit große Menschenmengen mobilisieren können, was ihnen eine hohe Durchschlagskraft verleiht.

Redaktion: Gibt es neue oder weniger bekannte Kriminalitätsphänomene, die derzeit an Bedeutung gewinnen?

Thomas Bremer: Ja, neben den klassischen Feldern der organisierten Kriminalität gibt es einige neue oder wachsende Kriminalitätsbereiche. Im Bereich der Doping- und Arzneimittelkriminalität beispielsweise wurde in den letzten Jahren eine massive Zunahme festgestellt. Allein im Jahr 2016 konnte mehr als eine Tonne verbotener Präparate sichergestellt werden.

Ein besonders perfides Phänomen sind betrügerische „Alternative Heilmethoden“. Hier werben Kriminelle Schwerstkranke, häufig Krebspatienten im Endstadium, mit Versprechungen über angeblich heilende Behandlungen an. Diese werden oft über professionell gestaltete Webseiten vermarktet. Es ist eine besonders schamlose Form des Betrugs, die Menschen in ihrer verzweifelten Lage ausnutzt.

Ein weiteres wachsendes Problem ist der Wettbetrug und Matchfixing im Sport. Dabei handelt es sich um eine internationale Herausforderung, die sich auf Sportverbände, Sponsoren und natürlich auch Fans negativ auswirkt. Deutschland arbeitet hier eng mit internationalen Organisationen wie der FIFA und UEFA zusammen, um diesem Phänomen entgegenzuwirken.

Redaktion: Die Auswirkungen scheinen also nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wirtschaftlich erheblich zu sein. Können Sie uns ein Beispiel geben?

Thomas Bremer: Absolut. Ein gutes Beispiel ist der Bereich des Kfz-Diebstahls, der oft von international organisierten Gruppen betrieben wird. Hier sprechen wir nicht von vereinzelten Autodiebstählen, sondern von gezielten Raubzügen, bei denen Fahrzeuge systematisch gestohlen, ins Ausland verschifft und dort weiterverkauft werden. Das verursacht nicht nur immense wirtschaftliche Schäden, sondern belastet auch Versicherungen und den gesamten Automobilmarkt.

Ein weiteres Beispiel ist der Handel mit illegalen Substanzen wie Dopingmitteln oder Suchtmitteln, der Milliardenbeträge in die Taschen krimineller Organisationen spült und gleichzeitig die Gesundheit unzähliger Menschen gefährdet. Diese Einnahmen fließen häufig direkt in die Finanzierung weiterer krimineller Aktivitäten, was den Kreislauf der Kriminalität aufrechterhält.

Redaktion: Wie kann die Bekämpfung der organisierten Kriminalität effektiver gestaltet werden?

Thomas Bremer: Der Schlüssel liegt in der internationalen Zusammenarbeit. Kriminalitätsformen wie der Suchtmittelhandel, Menschenschmuggel oder der Kfz-Diebstahl enden nicht an nationalen Grenzen. Daher müssen auch die Strafverfolgungsbehörden grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Ein gutes Beispiel ist die enge Kooperation zwischen Polizei, Interpol und Sportverbänden im Kampf gegen Wettbetrug.

Ebenso wichtig ist es, Kriminalitätsnetzwerke bereits in ihrer Aufbauphase zu enttarnen. Dafür braucht es spezialisierte Kompetenzzentren und Ermittler, die nicht nur regional, sondern auch international agieren können. In Deutschland gibt es beispielsweise spezialisierte Einheiten für die Bekämpfung von Kfz-Diebstählen oder Wettbetrug, die gezielt diese Bereiche überwachen und Maßnahmen koordinieren.

Ein weiterer Aspekt ist die Prävention: Aufklärung der Bevölkerung, Schulung von Mitarbeitern in kritischen Branchen wie Banken, Sportorganisationen oder Gesundheitswesen und eine konsequente Meldung verdächtiger Aktivitäten.

Redaktion: Welche Rolle spielt die Wirtschaft bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität?

Thomas Bremer: Die Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle, sei es durch die Aufdeckung verdächtiger Transaktionen im Finanzsektor oder durch die Sicherstellung, dass Lieferketten nicht von kriminellen Gruppen infiltriert werden. Unternehmen sollten eng mit den Behörden zusammenarbeiten und klare Richtlinien sowie Sicherheitsmaßnahmen implementieren, um sich zu schützen.

Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenarbeit im Sportbereich, insbesondere bei der Bekämpfung von Wettbetrug. Hier können Unternehmen und Sponsoren durch ihre Netzwerke und Ressourcen dazu beitragen, Betrug aufzudecken und den Sport sauber zu halten.

Redaktion: Herr Bremer, was ist Ihrer Meinung nach der wichtigste Schritt, um die organisierte Kriminalität wirksam zu bekämpfen?

Thomas Bremer: Der wichtigste Schritt ist ein gemeinsames, globales Vorgehen. Wir müssen anerkennen, dass Organisierte Kriminalität kein lokales Problem ist. Sie ist ein internationales Phänomen, das nur durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit, moderne Technologien und entschlossenes Handeln effektiv bekämpft werden kann. Und nicht zuletzt braucht es das Bewusstsein der Bevölkerung: Nur wenn wir uns der Gefahren bewusst sind und wachsam bleiben, können wir diesen Strukturen das Handwerk legen.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bremer.

Thomas Bremer: Sehr gerne, ich danke Ihnen.